Dienstag, 11. Juni
In den ersten Tagen des Juni sind wir in Friesland unterwegs. Wieder einmal erleben wir, dass die ganze Autobahn für ein paar Minuten unterbrochen wird, damit wir mit unserem Schiff die Brücke passieren können. Diese «Störung» gehört hier in Holland zum normalen Alltagsverkehr und alle warten geduldig, bis es weitergeht.
Ein paar Minuten später kommt uns ein schwimmendes Haus entgegen. Auch das ist keine Seltenheit in diesem Wasserland. Wir fahren hin und wieder Kanalabschnitte an denen Wohnboote festgemacht haben. Die meisten werden als Ferienhäuser benützt. In der Umgebung von grossen Städten sind es oft auch feste Wohnsitze. Wenn umgezogen wird, geschieht das mit dem ganzen Haus…
Spontan interessiert uns das Städtchen Joure, das an einer Wassersackgasse liegt und wir entscheiden uns, diesen unbekannten Ort zu erkunden. Der Seitenkanal führt uns nach einer engen Schleuse 1 km ostwärts. Wir sehen ein paar Silos und ein paar Industriegebäude und werden unsicher. Wir bleiben bei unserer Entscheidung und fahren weiter. Nach der nächsten Biegung sehen wir einen Hafen und erkennen, dass es viele freie Gäste-Plätze gibt. An der Aussenseite im Kanal können wir mit unserer «Fenna» festmachen. Die Umgebung entpuppt sich als idyllische Trouvaille. Alles im Hafen ist sehr gepflegt. Wie wir später entdecken, liegt gleich daneben der Stadtpark mit riesigen Bäumen aus denen eine riesige Schar Krähen ihr lautes Dasein kundtun. Wir sind wie in einem Garten und für Benjo gibt es genügend Auslauf. Wir bleiben drei Tage an diesem hübschen Ort. Auch das Städtchen, das zu Fuss in 5 Minuten erreichbar ist, wirkt gepflegt und ist herausgeputzt.
Trotz der sympathischen Umgebung treibt uns unsere Entdeckerlust weiter. Zudem erwarten wir Besuch aus der Schweiz. Die Schwester von Therese, Doris mit ihrem Mann Remy, kommen für 3 Tage an Bord. Wir erwarten sie in Leeuwarden. Während wir dort liegen kommt eine Linssen Sturdy 400 AC mit Schweizer Flagge. Es ist das baugleiche Boot, wie meine «Decision», die ich vor ein paar Jahren gefahren bin. Der Name «Solveig VII» sagt mir etwas, aber ich erinnere mich erst daran, als ihre heutigen Besitzer Sibyl und Dieter Imboden erzählen, dass dies das Boot von Rollo Gebhard war, der als Weltumsegler und Nautik-Autor viele der östlichen Gewässer erkundet und darüber einige Bücher geschrieben hat. Mit der «Solveig VII» bereiste er 2000 von Deutschland aus die ganze Donau bis ans Schwarze Meer.
Wir sind ganz in der Nähe des Princenhofs und so besuchen wir mit Doris und Remy diesen Nationalpark, der auch Oude Venen heisst. Er darf mit dem Schiff erkundet werden obwohl es ein geschütztes Reservat für Vögel und Pflanzen ist. Trotzdem gibt es überall Anlegestellen, die wir benützen können. Auch wenn diese Landschaft jedes Jahr von tausenden Touristen auf Ausflugschiffen und Booten überfallen wird, ist es sauber und im wahrsten Sinne des Wortes naturbelassen. Der Respekt für diese Seenlandschaften ist sehr gross und es halten sich die allermeisten Besucher daran.
Wir fahren noch einen Abstecher nach Drachten, wo wir realisieren, dass der Hafen weit von der Stadt entfernt ist und so haben wir eine Alternative gesucht und in Oudega gefunden: ein kleines, verträumtes Dörfchen. Der Hafenmeiste war erstaunt, dass wir hier her gefahren sind; er habe noch nie ein so grosses Boot in seinem Hafen gehabt und er habe auch keinen Tarif für Boote über 13 m Länge. So verrechnete er 13 m x € 1.00, also € 13.00 für die Übernachtung. Wir haben noch nie einen so kleinen Liegeplatzpreis bezahlt…
Leider ist die Reisezeit sehr kurz uns so reisen die beiden nach 3 wunderbaren Tagen, die auch meteorologisch dem Frühling gerecht war, wieder zurück an die Arbeit. Wir schön ist es doch, bleiben zu können, bis wir genug vom «Böötle» haben. Wir sind im Stadthafen von Leeuwarden und der liegt in einem Park. Wir begleiten sie zu Fuss an den Bahnhof.
Wenn wir schon ganz im Norden sind wollen wir auch noch die Westküste von Holland besuchen, nachdem wir letztes Jahr in Lauwersoog am nördlichsten Punkt der Holländischen Nordseeküste waren. Die Fischerstadt heisst Harlingen. Wir wissen, dass unsere Freunde der «Veranderen», Thesi und Martin Eberhard dort auf der Werft liegen und noch während den kommenden Wochen Handwerker an Bord haben werden. Wir melden uns bei ihnen und sie schlagen uns vor, bei ihnen auf der Werft anzulegen; es gäbe einen freien Platz für uns. Also haben wir einen sympathischen Grund loszufahren. Wir verbringen das Wochenende mit ihnen. Wir essen wieder einmal auswärts in einem chicen Restaurant und am Sonntag spazieren wir bei Ebbe am Strand. Benjo ist begeistert vom nassen Sand, rast durch Salzwasserpfützen und buddelt Löcher bis er fast überdreht.
Samstag, 15. Juni
Am Montag sind wir nach Franeker zurückgefahren und bleiben fast eine Woche in dieser charmanten Umgebung. Wir shoppen, gehen ins in eines der ältesten Planetarium in Europa und vergnügen uns mit Benjo auf einer riesigen Wiese wo er seinem Lieblingsspielzeug dem blauen Ball nachrasen kann, bis er erschöpft auf den Rasen liegt und ein paar Minuten keinen Wank mehr tut. Er hächelt und das junge Herz poldert, dass man es am ganzen Körper sieht.
Spontan melden sich Yvonne und Hugo Brunner aus Hilfikon, die in Enkhuisen ihr Traumschiff, eine Puffin Classic 42, bauen lassen und 3 Tage dort sind, um den Baufortschritt zu prüfen. Im September wird sie segelfertig sein. Sie nehmen unsere Einladung an und übernachten vom Freitag auf den Samstag bei uns. Dafür werden wir fürs Nachtessen eingeladen und sind Gäste im hervorragenden Restaurant «De Doelen» im Städtchen. Das Essen ist ein Gedicht und wir geniessen jeden Bissen.
Wir müssen uns schon fast beeilen, da wir am Sonntagabend Tochter Nadja und ihr Freund Peter in Leeuwarden erwarten. Sie kommen pünktlich um 16:55 mit dem Schnellzug vom Flughafen Amsterdam-Schiphol an.
In den kommenden Tagen fahren wir mit ihnen von Leeuwarden nach Dokkum, weiter nach Lauwersoog an der Nordseeküste, danach bis Garnwerd, wo wir beim Restaurant an der Brücke anlegen und übernachten können. Die letzte Etappe führt uns weiter übers Reitdiep auf den Van Starkenborgh-Kanaal, durch die grosse Oostersluis nach Groningen. Nadja und Peter steuern immer wieder unsere «Fenna», unterstützen bei den Manövern und sind tatkräftig mit dabei, wenn’s um Kochen, Tischen und Essen geht. Sie freuen sich über diese für sie speziellen Ferien. In Groningen verabschieden wir die beiden am Freitagabend Richtung Heimat.
Montag, 24. Juni
Groningen ist eine junge, lebendige Stadt. Wir bleiben übers Wochenende im Oosterhaven, wo wir zu Fuss in 5 Minuten in der Altstadt sind. Wir machen uns Gedanken über unsere weitere Route. Da wir schon so weit im Norden sind, ist der Reiz gross, ostwärts Richtung Deutschland zu fahren…
Sonntag, 30. Juni
Wir haben uns entschieden, dass wir nach Deutschland weiter fahren wollen. Da wir so weit im Norden von Holland sind, ist es geradezu einladend, ostwärts Richtung Emden und dann weiter das Gezeitengewässer Ems zu fahren. Wir starten also am Montag, 24. von Groningen nach Delfzijl und übernachten im Innenhafen. Danach schleusen wir ins Salzwasser und fahren durch den grossen Aussenhafen und über den Dollard, eine Art Fjord an Emden vorbei in die Mündung der Ems.
Wie erwähnt hat dieses Wasser Gezeiten und wir haben unsere Abfahrtzeit auf 10:00 festgesetzt damit wir mit der Flut die Ems befahren können. Da in diesen Tagen der Einfluss des Mondes sehr hoch ist haben die Gezeiten einen hohen Koeffizient, d.h. die höchste Flut und die niedrigste Ebbe. Oder in Metern gesprochen, ist der Unterschied zwischen Ebbe und Flut zusätzlich 60cm höher und erreicht eine Differenz von 4 Metern. Dieser Wert gibt eine ordentliche Strömung des Wassers. Wir stellen fest, dass die Anzeige unserer Geschwindigkeit im (fliessenden) Wasser wie üblich rund 12 km/h beträgt, die Geschwindigkeit auf dem GPS, d.h. über Grund, jedoch zwischen 17 und 20 km/h anzeigt. Die Bojen flitzen nur so an uns vorbei und wir sehen, wie das Wasser stark an ihnen reisst. Es ist ein eigenartiges Gefühl mit 50 Tonnen so schnell unterwegs zu sein. Eigentlich sind wir in einem stark strömenden Fluss, indem es mit unserem Schiff nicht möglich ist anzuhalten. Es sei denn, wir würden es kehren und gegen die Strömung bremsen und anlegen.
Doch die Ems ist breit und es hat keine Hindernisse. Wir werden von einem 86m langen Tankschiff überholt. Offenbar macht es den Profis Spass, mit ihren riesigen Dingern zu speeden. Bis zur ersten Schleuse sind es 57 km. Wir beschliessen aber nach 33 km links, Entschuldigung nach Backbord, abzubiegen und in Leer zu übernachten. Eine Schleuse führt weg von der Strömung in den ruhigen Stadthafen. Wir sind erleichtert, dass es wieder etwas gemächlicher vorwärts geht. Vom Hafenmeister werden wir eingewiesen und er hilft uns, das Schiff am Spaziersteg der Stadt festzumachen. Wir sind noch nicht fertig, tönt es «Grüezi mitenand, ich bi de René». Der Hafenmeister ergänzt, dass jeder Schweizer von René speziell begrüsst werde, so auch wir.
René freut sich über unsere Ankunft und lädt uns spontan zum Kaffee und Gipfeli am nächsten Morgen ein. Wir lernen Annette, seine Frau kennen und erfahren, dass sie seit Januar diesen Jahres hier in Leer direkt am Hafen wohnen. Ihr Schiff die «Saudade», eine 23m Luxemotor ist auf der gegenüber liegenden Seite festgemacht. Leider mussten sie nach 9 Jahren Leben auf dem Schiff aus gesundheitlichen Gründen wieder festen Boden unter die Füsse kriegen und haben nun diese Lösung gefunden. Wir spüren, dass das Fernweh bei den beiden immer noch sehr präsent ist und sie am liebsten mit uns weiterziehen möchten. Wir bekommen viele Hinweise und Tips von den erfahrenen Schiffsleuten. Am dritten Tag reisen wir weiter und verabschieden uns von Annette und René. Danke für eure Gastfreundschaft!
Nochmals spuren wir in den Strom ein und lassen uns bis vor die erste Schleuse spülen. Danach fahren wir auf dem Ems Kanal, d.h. das Wasser ist wieder ruhig und nicht mehr salzig. Die Etappe führt uns mit 2 Schleusen, die uns je 3.7m in die Höhe heben, 33 km weiter nach Haren. Wir bleiben für die Nacht und fahren am anderen Tag zeitig weiter nach Lingen, ebenfalls 31 km lang mit 3 Schleusen, die wir mit einem Berufsschiff und zwei weiteren Sportbooten zusammen fahren. Im alten Hafen legen wir an. Schleusen verlangt viel Aufmerksamkeit und wir spüren eine gesunde Müdigkeit, wenn wir rund 5-6 Stunden pro Tag fahren. Das Warten an den Schleusen und den ganzen Tag an der frischen Luft unterstützen einen guten Schlaf.